Um mal aufzuzeigen, was eine Pflege zu Hause für Angehörige bedeuten kann, erzählt uns Heike, wie sie ihren Tag strukturiert. Deutlich dürfte sein, welche persönliche Opfer erbracht werden, um einen lieben Menschen das zu geben, was er braucht. Und das Tag für Tag. Bedauerlicherweise schlägt die Krankenkasse mit Verhinderungspflege und Betreuungshilfe nur eine kleine Brücke, die Pflegenden wandeln oft existenziell auf einem schmalen Grat. Ohne ein verständnisvolles und funktionierendes privates Netzwerk vor Ort und eine anteilnehmende unterstützungsfreudige Community geht nichts. Und diese gibt es zum Glück in Rurberg…

 

Heike erzählt: “Ein ganz normaler Tag läuft sehr strukturiert ab. Morgens vor dem Aufstehen heißt es, Stefan umlagern und erstmal die Öfen stochen. Das bedeutet: Asche auskratzen und leeren, dann auflegen und anzünden. Anschließend das Frühstück für die Kinder richten, inklusive Schulbrote, währenddessen die erste Ernährung für Stefan an die Ernährungspumpe anschließen, die Medikamente herrichten. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, ist erstmal Zeit für den eigenen Kaffee und danach eine Runde mit dem Hund drehen. Wieder zu Hause steht die morgendliche Routine an: Spülmaschine ausräumen, Wäsche anstellen, die Betten aufschlagen und wenn es sehr kalt war in der Nacht, die Fenster von innen trocknen oder enteisen. Dann Durchkehren und die Wäsche vom Vortag wegfalten. Mal überlegen, ob neue Medis für Stefan gebraucht werden, denn dann jetzt schon mal anfangen, den Arzt zu erreichen. Das kann ein paar Stunden dauern… Auf Vorrat das Holz in Kiste stapeln, falls die Kinder es vergessen haben, denn wenn Stefan aus dem Bett ist, wird es schwierig. Er muss mich immer in Sichtweite haben.

Ab jetzt nicht mehr zu weit von Stefan entfernen, da jeden Moment die Pumpe Alarm schlägt und abgestellt und abgestöpselt werden muss. Noch eine Spritze Tee mit aufgelösten Vitaminen hinterher, damit die Sonde nicht verstopft.

Jetzt eine Pause, solange Stefan noch schläft, denn das wird die letzte Möglichkeit sein, bis ich ca 24.00 Uhr Feierabend habe.

Alsbald Stefan wach ist, dauert die morgendliche Pflege eine Stunde. <etwas auf den Ofen packen> Beinhaltet sauber machen, also neu Windeln, im Bett liegend anziehen (denn hier kann er helfen, indem er die Beine anreicht), dann Stück für Stück in Richtung Bettkante rutschen, wobei er mit meiner Unterstützung schon sehr gut helfen kann. Jetzt muss der Rollstuhl schon parat stehen. Nicht vergessen, die Augen zu Tropfen, denn im Sitzen brauche ich Hilfe, die nicht da ist (seit letztem Sommer leidet er sehr unter trockenen Augen). Dann dreht er sich zur Seite und ich setze ihn auf. Wir üben etwas für das Gleichgewicht und warten, dass der Kreislauf hochkommt. Aufstehen kann er mittlerweile ganz gut und braucht nur noch einen Block an den Knien. Im Rollstuhl können wir die Schuhe anziehen und wenn er gut ist, fällt der Oberkörper beim Anheben des linken Beines nicht nach vorne (am Becken ist er mit einem Gurt gesichert, denn er hat keine Rumpfkontrolle). Wenn doch, wiederholen wir das so lange, bis er sich gut hält. Jetzt kann ich das Bett machen und lüften. Ab ins Badezimmer, vorher löst er mit etwas Führungshilfe die linke Bremse und er fährt selbst rückwärts bis zum Waschbecken. Nun T-Shirt ausziehen (Arme raus kann er allein) und waschen, wobei er sich nach vorne neigen kann und Zähne putzen (hierbei nutze ich seit einigen Monaten eine Kinderzahnbürste mit sehr weichen Borsten, da er jetzt ausspucken kann). Er spuckt in einen Waschlappen, denn nach vorne neigen und gleichzeitig aufs Spucken konzentrieren geht nicht.

Wieder frisch angezogen, fährt er den Rollstuhl im Vorwärtsgehen in die Küche (ich lenke). Jetzt ziehen wir die Jacke an, denn Stefan friert immer. Den rechten Arm muss ich einfädeln, den linken kann er selbstständig einfädeln und neben dem Rollstuhl runterstrecken, um die Hand rauszustrecken.  <etwas auf den Ofen packen>

Nun gibt es Bananenbrei, den ich frisch mache, über die Spritze in die Sonde.

Jetzt lecker Kaffee aus der Maschine ziehen, das kann Stefan mit geführter Armbewegung selbst. Verabreichen muss ich den Kaffee teelöffelweise. Bei jedem Schluck auf gute Kopfhaltung achten, dann geht es ohne viel Verschlucken und Husten. <etwas auf den Ofen packen>

Entweder steht ein Therapeut -Logo, Ergo oder Physio- ins Haus oder wir starten den Motomed (Ergometer-Trainer aktiv oder passiv für Arme und Beine). Es wird Zeit zu Kochen, denn die Portion für Stefan muss ja anschließend noch püriert werden und abkühlen. Und die Kinder kommen bald aus der Schule. Also ordentlich auf den Ofen packen, damit die Hitze reicht. Stefan bekommt wieder Tee über die Sonde. Wenn das Essen kocht, ist nochmal Zeit etwas zu üben, z.B. mit der mimischen Muskulatur oder über den Spiegel Selbstkontrolle. Oder Handschiene, denn wir wollen die Hand auf die botulinum Therapie vorbereiten. Wenn sein Essen gar ist, muss ich ihn mit Rollstuhl fixieren, denn die Vorräte lagern draußen in der Scheune. Ich hole ein Fleischgläschen und püriere alles untereinander. Etwas kaltes Wasser dazu, dann kann er sein erstes Mittagessen bekommen. Jetzt sitzt er schon so lange, dass er eine Sofa-Pause braucht, um seinen Kopf anzulehnen und die Füße hochzulegen. <etwas auf den Ofen packen>

Also fährt Stefan ins Wohnzimmer, während ich lenke. Wir parken am Fußende und mit meiner Hilfe (Gleichgewicht halten und Fussbewegung führen) gehen wir etwa fünf Seitwärtsschritte, dann noch einen Moment versuchen, selbst im Gleichgewicht zu stehen und langsam absetzen. Ich halte ihn mit einer Hand an der Schulter und er reicht mir einen nach dem anderen Fuß, um die Schuhe auszuziehen. Jetzt kommt der Karnickel-Nackengriff und ich klettere auf das Sofa hinter ihn. Wenn ich seinen Rumpf gegen mich fixiere, ist er in der Lage, seine Beine nacheinander hoch zusetzen. Er drückt sich kräftig ab und ich ziehe ihn soweit es geht zurück. Die Arme noch unterlagern, damit er nicht umkippt und ab in die Küche <etwas auf den Ofen packen> Schnell den Tisch decken, die Kinder kommen und wir haben Hunger. Anschließend die Wäsche aufhängen und Spülmaschine einräumen (Töpfe mach ich lieber selbst) <etwas auf den Ofen packen>

Stefan bekommt eine Spritze Tee. Er wird schon wieder unruhig, seine Pause ist vorbei. D.h. Füße runter und Schinken rutschen (hierbei kann er seit neuesten auch helfen). Jetzt mit viel Kraft aufstehen und langsam umdrehen (ich führe die Füße) und ab in den Rollstuhl. Schuhe anziehen wie am Morgen (wenns gut geht, dauert es nicht lange) und dann rückwärts ins Badezimmer (ich lenke) und den Pipi-Beutel leeren. Jetzt kann ich auch gefahrlos zur Toilette, hab ihn ja im Blick. Wir fahren in die Küche <etwas auf den Ofen packen> Und zweites Mittagessen über die Spritze steht an. Dann gibt es meist Kaffee wie am Vormittag und ich kümmere mich um die Post. Die Kinder gehen mit Zisa und holen neues Holz rein. Nun üben wir mit dem Rollator. Ab vor den Spiegel, alles muss perfekt stehen. Den Beutel umhängen und mit Hilfe nach vorne in den Rollator setzen. Dann stelle ich ihn auf und positioniere die Füße. Ich hocke also hinter ihm am Boden. Er kann seit Weihnachten die Hände in die dafür vorgesehene Position bringen und sich relativ über Sichtkontrolle gerade halten. <etwas auf den Ofen packen>

Nun kontrolliere ich die Schrittlänge und dass er die Mittellinie nicht überschreitet. Das Gewicht hält er ganz gut. Wir gehen auf den Spiegel zu, dann setzt er sich und ich ziehe das Gespann zurück, usw…. Jetzt eine Spritze Tee <etwas auf den Ofen packen> Nun nochmal ins Bad, Pipi-Beutel leeren und dann ins Schlafzimmer. Den Rollstuhl parken wir am Bettende, dann losschnallen, Aufstehen mit geblockten Knien, ich halte ihn wieder im Gleichgewicht, während ich die Schritte vorwärts führe. Manchmal sehr heikel, denn er ist körperlich schon sehr geschafft. Noch eine viertel Drehung und langsam absetzen. Nun sitzt er mit gegrätschten Beinen (meine noch außerhalb von seinen) und gibt Druck gegen meine Knie. Das hilft ihm, so eine gute Spannung aufzubauen, dass ich ihm die Jacke ausziehen kann, ohne seinen Oberkörper zu halten. Nun Schuhe aus und in den Unterarmstütz (wir üben dran) und dann in Seitenlage, wobei ich die Beine nehme. Beim Rüberrutschen hilft er wieder wie am Morgen. In Rückenlage noch die Knie an den Bauch und ich lege mich drauf (er muss mich zehn mal wegdrücken). Dann noch ein Keilkissen unter den Kopf, damit er besser Fernsehen kann. <etwas auf den Ofen packen> Das erste Abendessen über die Pumpe wird abgeschlossen und ich gehe mit den Hund. Meine erste eigene Zeit und Lockerung der Muskeln. Zurück gibt’s Abendbrot mit den Kindern. Jetzt eine Pause für mich nach dem Duschen. Die Pumpe wieder im Auge behalten, denn sie muss ja wieder ausgestellt und Tee nachgeschossen werden.

<etwas auf den Ofen packen>

Das Nachmittagsprogramm fällt an den Tagen, an denen Kindersport ansteht oder Stefan Duschen geht, aus oder findet sehr abgespeckt statt. Dafür übt er im Auto z.B. gut für Kopf- und Rumpfkontrolle durch die Serpentinen. Und es gibt mentales Training (Stefan navigiert den Weg zu den Sportstätten, Geschäften oder den Heimweg). Er hebt den entsprechenden Arm und es stimmt immer. Den Kindern gute Nacht sagen, um 23.00 Uhr die letzte Mahlzeit wieder über die Spritze und mit Zisa nochmal raus Gassigehen. Nun kommen Brikett für die Nacht auf den Ofen. Noch etwa eine halbe Stunde das Kopfteil hochgestellt lassen, dann ist genug verdaut und es kann runter. Den Nachtbeutel noch anstöpseln und Augensalbe für die Nacht. Gegen 24.00 Uhr für die Nacht zur Wand lagern, dann kann ich auch gut schlafen. Um 3.00 Uhr auf den Rücken lagern und um 6.00 Uhr andere Seite lagern und aufstehen.

So sieht jeder Tag in jeder Woche aus (vom Aufwand), die Anforderungen ändern sich mit seinen Fähigkeiten bzw. seiner Tagesform.

Und das war ein guter Tag, also ohne Katastrophe, Krankheit, Schmerzen oder Unfall oder Schreianfall und Ausrastern mit Schlägen und Tritten (seitens Stefan).

Dann gibt es Tage, an denen Stefan krank ist oder das Wetter so schlecht, das wir nicht trocken ins Auto kommen, dann musste ein Bekannter aus dem Dorf Lukas vom Zug abholen (er ist Internatschüler und kommt Freitags am frühen Nachmittag am ca. 20 km entfernten Bahnhof in Nideggen angebracht werden). Dann brauche eine weitere Hilfe, die mir den Einkauf so erledigt, dass Lukas so bei uns eintrifft und auf dem Rückweg nach Simmerath Philipp mit zum Jujutzu-Training nimmt. Die dritte Person ist dann z.B. die Therapeutin, die Philipp vom Training abholt und im Anschluss Stefan therapiert. Jetzt muss man wissen, das Stefan sich von niemandem mehr außer mir betreuen lässt.

Wenn das Netzwerk Dorf nicht so gut funktionieren würde, könnte ich Stefan in dieser Form zu Hause nicht versorgen. Freunde und Bekannte sind also meine größte Stütze!!!

Wenn ich denn doch mal versuche, ihn zu Hause (betreut durch seine Mutter) zu lassen, weil es aus Eimern schüttet und die arme Frau bis zum Auto völlig durchnässt wäre, dann ahne ich schon: Es wird schief gehen…

Ich regele also alles. Das Essen steht auf dem Herd, Stefan sitzt angelehnt mit langgestreckten Beinen auf dem Sofa (eigentlich sicher). Leon ist abrufbereit, da Unterricht ausgefallen ist und ich fahre selbst Lukas am Bahnhof holen (40 bis 60min weg). Als ich dann wieder zu Hause bin, hat sich Stefan bis zu den Kniekehlen vom Sofa gewurschtelt und jammert herzerbärmlich. Seine Mutter ruft nicht Leon runter und sitzt verzweifelt weinend daneben. Das Essen ist auf dem Herd verbrannt und Lukas bekommt kein Mittag, bevor er zur Fahrstunde abgeholt wird.

Das sind Tage, an denen ich schreiend abhauen will. Also klaren Kopf behalten und das Wichtigste zuerst abhandeln.

Ich hoffe, es wird klar, das da nirgends und nie Zeit für ein eigenes Bedürfnis bleibt.

Der Wecker klingelt…

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