Heike durfte den berührenden Text “UNGEPFLEGT” von Leah Weigand auf ihre persönliche Erfahrung mit Stefan umschreiben und will damit speziell auf die häusliche Pflege aufmerksam machen, die weiterhin unter der öffentlichen Wahrnehmung existiert und gesellschaftspolitisch geduldet, aber existenziell ignoriert wird.

Wir haben uns entschieden, eine “ruhige” Version zu veröffentlichen, hier und da blitzt aber Heikes Wut und Verzweiflung durch.

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Leah
Weigand

Leah studiert Medizin in Marburg und erlangte mediale Bekanntheit durch ihren Slam “Ungepflegt”, mit dem sie viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Pflegenden erreicht und nun die Medien wachgerüttelt hat.


Ob die Politik ihrer Verantwortung nachkommt und die existenzbedrohenden Umstände besonders in der häuslichen Pflege abschafft, hängt schlussendlich vom Wahlverhalten eines jeden Einzelnen ab.

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PFLEGE ZU HAUSE | NICHT SO!

Wenn ich mich vorstelle und sage: „Ich bin pflegende Angehörige“, dann kommt meistens als Antwort:
“Wow, du bist nur zu Hause und arbeitest nicht. Das wär nichts für mich!“. 

Oh ja, es bedeutet jeden Tag Dienst und quasi immer Schicht,
Home-Office und Gleitzeit eher nicht.
Ich werde beschissen, bespuckt und angerotzt
und oft bin ich ganz metaphorisch angekotzt.
Hab mich verrenkt und verhoben trotz allem Kinästhetikwissen,
hab mit dieser Hand schon tausendmal die Ernährung per Spritze geschoben und manchmal ist alles beschissen.

Ich werde vom Staat nur benutzt,
fühl mich von Behörden und Versicherungen gnadenlos ausgenutzt.
Pflegende sind die letzten in der Nahrungskette
und mehr als einmal habe ich mir gewünscht, dass der Tag nie begonnen hätte.

Manches Mal bleibt für die Familie nur `Kochen wie in der Kaserne`
und doch mache ich es gerne.
Wenn die Kinder vom Feiern nach Hause kommen,
hat die Pflege zu Hause meist schon begonnen. 
Und meine durchzechten Nächte
waren die Pflege bei uns im Haus, ich hechte. 

Wir pflegende Angehörige sind in jedem Fall unterbezahlt, zur Genügsamkeit gezwungen
und werden von den blanken Bundes-Balkonen dafür noch nicht einmal beklatscht, arbeiten wir doch wie ‚eiserne Lungen‘.

Ich steh nicht mehr ganz am Anfang und war ganz oft schon am Ende
und manchmal fragt man mich, ob ich nicht einen Job in meinem Beruf eine vernünftige Arbeit fände. 

Aber ich habe die Hand in der Phase des Überlebens gehalten und berührte seine Haut,
hab in sein erleichtertes Gesicht und auch in seine erleichterten Augen geschaut.
Ich hab schon oft die augenscheinlich letzte Szene gesehen
und durfte mit ihm erneut die ersten Schritte gehen. 

Einmal hörte ich den allerersten Schrei nach einem Jahr der Stummheit
und mal werd ich es sein, beim letzten Atemzug dabei und das nicht aus Dummheit.
Ich fasste ihn therapeutisch von außen und von innen
und konnte schon oft mit ihm Schlachten gegen Krankheiten gewinnen. 

Ich schaute ihn an und war fasziniert,
wie er es wieder schafft und alles funktioniert.
Manche Tage bleiben subkutan und bleiben für immer erhalten,
manche Augenblicke vergehen und lehren mein Großhirn umzugestalten.

Denn ich lerne. Ich lerne, dass Menschen immer werden.

Jede und Jeder wurde geprägt und dass jeder auf Erden sein eigenes Päckchen trägt. 

Ich lerne, wie man in das Zimmer hinein ruft, so schallt es auch meistens zurück,
und manchmal ist eine Minute nur Dasein das größtmögliche Glück. 

Ich lerne, ihn zu scannen in der drei Ebenensicht:
von Kranial nach Caudal, von Ventral nach Dorsal, von Medial nach Lateral und auch im Dämmerlicht. 

Ich lerne, genau hinzuschauen, beginnend bei den Augenbrauen bis runter zu der Wade
und manchmal auch hinter seine mächtige Fassade. 

Ich lerne, nicht alles persönlich zu nehmen und weiß, manchmal bleibt nur der Humor,
dann singe ich wie damals zur Schulzeit im Chor.
Ich lerne, meine Meinung zu äußern und dass ich meine Beobachtung wichtig find,
dass Ärztinnen und Ärzte keine Götter und nicht ohne Fehler sind.

Ich lerne ein bisschen, was Menschsein ist.

Und zerfällt auch sein Körper schon und schwinden Organe,

verliert man Haltung und die Kraft die Momentane, 

dann werd ich auch verrückt. 

Ich halt das kaum aus, bin zutiefst bedrückt.
Steh jedoch allein mit meinem Kummer 

und muss und will für ihn da sein, für immer.  

Sein Körper gilt als chronisch krank und oftmals auch als austherapiert,
durch fehlende Bewegung er ständig friert. 
Entgleiten auch Lebenslust und jedwede Höflichkeit, 

macht sich manchmal auch Demotivation bei mir breit. 

Und geht jede Fähigkeit wie Sprechen, Bewegen und Gehen verloren,
so stößt trotz meiner Aufforderung dran zu bleiben, alles nur auf taube Ohren. 

Und doch bleibt er der Mensch in allem Sein. 

Und weil ich all das mühsam lernte, will ich das nicht vergessen müssen. Ich will mir meine sehenden Augen nicht von Zeitdruck und will die verstehenden Ohren nicht von Existenznot rauben lassen. 
Ich will es so lassen, mit meinem Gehirn denken dürfen und es nicht ausschalten für klingelnde Kassen. 

Ich will mit meinem Herzen fühlen 

und es nicht von Not betäuben und abkühlen. 

Meine Verantwortung für sein Leben ist mir stets bewusst und auch, wohin Unachtsamkeiten führen. 

Aber so lange DU denkst, dass ich nur Arsch abwische und Sälbchen schmiere, 

Bettchen mache und assistiere, 

zu Hause die Zeit vertreibe 

und nicht im sozialen Miteinander bleibe, 

werde ich das nicht können. 

Ich werde Fehler machen und Dinge übersehen, 

werde Nahrung vertauschen aus Versehen 

und vor allen Dingen gegen mein Gewissen handeln müssen.
Denn ich bin am Limit und es wird nicht besser.
Und jede Pflegekraft, die geht, reißt das Loch nur noch größer. 

Ich finde, ES STEHT DIR NICHT ZU, uns pflegende Angehörige in die Armut zu treiben, 

nur weil wir bei unseren Pfleglingen bleiben.
Willst DU, dass das System zusammenbricht?
Ich denke nicht….

Denn die Entlastung fehlt und das weiß jeder. 

Und so verliert auch im häuslichen Rahmen vielleicht die Menschlichkeit und es bleibt Verdruss.
Und ich frag mich, was eigentlich noch kommen muss. 

Die auf dem Papier bestehenden Entlastungspakete wie Kurzzeitpflege oder Betreuungsleistung scheitert doch in der Umsetzung personell und finanziell. 

Und wer trägt die Quittung?

Pflegen ist nicht sexy und Pflegen ist nicht weiblich. Pflegen ist anspruchsvoll
und passiert häuslich natürlich aus Nächstenliebe, und das ist toll.

Doch davon kann ich meine Miete nicht bezahlen.

Pflegen ist existenziell und außerdem: Pflegen ist generell und rund um die Uhr in Bereitschaft sein, einfach unbeschreiblich. 

Man kann’s sich vorher nicht ausmalen, 

es passiert resultierend aus unseren Schicksalen.

DU sagst, das wär nichts für dich.
Ich sag: „Für uns pflegenden Angehörigen auch nicht,  nicht so!“ ….

Original “Ungepflegt” von Leah Weigand | Für die häusliche Pflege umgetextet von Heike Moll

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